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Eine politische Tour d'Horizon oder einmal vom Abgeordnetensessel ins Bundeskanzleramt und wieder retour: Wolfgang Schüssel.

APA-Photo: Roland Schlager

Wien - Wolfgang Schüssel ist Geschichte. Zehn Jahre nach seiner schwarz-blauen "Wende", zu der der damalige ÖVP-Chef als Bundeskanzler mit Jörg Haiders FPÖ im Februar 2000 angesetzt hat, ist Schüssels Kanzlerschaft historischer Stoff für wissenschaftliche Analysen und Einordnungen. Am Mittwoch wurden dazu (moderiert von Standard-Redakteur Eric Frey) zwei politikwissenschaftliche Bücher präsentiert. Das eine, englischsprachige, titelt mit der "Schüssel-Era", das andere fragt: "Kanzlermacht - Machtkanzler?"

Falls Schüssel die Publikationen lesen sollte, wird er dort mit einem Stärken-Schwächen-Profil konfrontiert, in dem Peter Gerlich von der Uni Wien auf der Haben-Seite des "ambitionierten, ehrgeizigen Politikers und meisterlichen Taktikers" das versuchte Aufbrechen verkrusteter Strukturen und das systematische Vorantreiben einer "Reformagenda" verbucht.

Auf der Soll-Seite stehen eine "Tendenz zur politischen Selbstüberschätzung" , "Versäumnisse im Akzeptanzmanagement" und "gestörte Beziehungen zu Massenmedien". - Dieses Beziehungsproblem dürfte sich auch auf Wissenschafter erstrecken, denn Schüssel hat sich - anders als Franz Vranitzky (SPÖ) - den Gesprächsanfragen der Autoren verweigert.

Gerlich skizziert "Staatsmann" Schüssel so: "Nach innen Chairman, nach außen Boss". Es sei ihm gelungen, die bündisch schwer zu bändigende ÖVP zusammenzuhalten, und bis Knittelfeld habe er das auch mit dem herausfordernden Partner FPÖ "ganz gut" hingekriegt. Nur auf die Kommunikation mit dem "Publikum" habe er langsam vergessen. Die Wähler haben sich das gemerkt - und ihm 2006 das politische Ende beschert.

Drachentöter-Legende

Anton Pelinka von der Central European University in Budapest hält die "Drachentöter"-Idee, die Schüssel zur Koalition mit Haider geführt haben könnte, für eine Legende, bestenfalls ein "Überbau" -Konstrukt, das einzig einem Ziel dienen sollte: "Er hat sich selbst damit nach einem historischen Wahldebakel gerettet und die historische Chance, Kanzler zu werden, genutzt." Das war "die Wende", die sich Schüssel getraut hat.

Er hätte sich aber noch ein zweites Mal trauen können. Denn, so Pelinka: "Schüssel wäre noch einmal in die Geschichte eingegangen, hätte er 2003 die Koalition mit den Grünen gemacht."

Hat er aber nicht. Erspart geblieben wäre ihm vermutlich zumindest ein grünes Knittelfeld.

Was bleibt von Wolfgang Schüssel? Politik-Professor Fritz Plasser nennt die Pensionsreform 2003, die für ein geändertes Bild vom Wohlfahrtsstaat stehe. Es war wohl just dieses Projekt, mit dem "der Boden für die Wahlniederlage 2006 aufbereitet wurde" , weil die Reform auch in der ÖVP-Wählerschaft als zu hart empfunden wurde. Gleichzeitig, so Plasser, sei diese Pensionsreform bis auf die Hackler-Regelung von keiner der Nachfolge-Regierungen infrage gestellt worden. Ja, es mute vielmehr so an, als seien alle "heilfroh, dass das erledigt worden ist".

Aus Sicht des Politologen David Wineroither war der Hauptprofiteur von Schüssel die ÖVP. Sie habe von ihn drei Dinge gelernt: Die ÖVP kann "nur verlieren in einer großen Koalition, wenn sie in Harmonie mit der SPÖ lebt"; Loyalität mit dem Parteichef; und die strategische Option, mit der FPÖ zu koalieren, sei, wenn auch vage, so doch prinzipiell zu erhalten.

Wer die Performance von Vizekanzler Josef Pröll und seiner ÖVP beobachtet, sieht: Sie haben ihre Schüssel-Lektion gelernt. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD; Printausgabe, 8.4.2010)